Tagungsbeitrag

Stolzenburg, Xenia:

Von der Kirchenfamilie zur Sakraltopographie: Santo Stefano in Bologna

In der Kirchenfamilie Santo Stefano werden die wichtigsten heiligen Stätten der Passion vergegenwärtigt. Den Mittelpunkt nimmt der Zentralbau Santo Sepolcro mit einem Heiligen Grab aus dem 11. Jahrhundert ein. Flankiert wird der Bau von der den Märtyrern Vitalis und Agricola geweihten Kirche und Santa Trinità, der Hauptkirche der Langobarden während ihrer Herrschaftszeit in Bologna. Diese Erinnerungsorte, die schon im 9. Jh. als Jerusalem bezeichnet werden und deren Vorgängerbauten und Quellen bis in die Zeit von Ambrosius zurückweisen, verbinden sich zu einem komplizierten topographischen System, das durch die Bestattung des heiligen Petronius, Stadtpatrons von Bologna, im Heiligen Grab selbst zusätzliche Bedeutung gewinnt. Ab dem 11. Jh. wird durch einen großen Reliquienfund, der Niederschrift der Gründungslegende und einem Neubau der Anlage mit effektvoll eingesetzten Spolien und antikisierendem Baudekor Alter und Bedeutung von Santo Stefano aufgewertet. Gleichzeitig wird die Jerusalemthematik auf die Stadttopographie ausgeweitet, indem der Himmelfahrt Christi mit einer eigenen Kirche gedacht wird. Weitere Orte sind nur noch durch Schriftquellen fassbar und womöglich den topographischen Begebenheiten der Stadt geschuldet, denn sie fügen sich in natürliche Erhebungen und Vertiefungen zwischen Santo Stefano und der Himmelfahrtskirche ein und wurden durch Prozessionen begangen. Jede der Kirchen wechselte ein- bis viermal ihren Weihetitel und Gebeine von Heiligen wurden innerhalb der Bauten transferiert. Die Skizzierung der Komplexität von Santo Stefano ist bereits Teil meiner Forschungsergebnisse, da die Anlage in der Literatur zu einseitig auf die Nachbauten der Grabeskirche in Jerusalem beschränkt wurde. Mit meinem Vortrag möchte ich insbesondere den Wandel von der frühchristlichen Stätte bis zum hohen Mittelalter mit all seinen Facetten vorstellen.

Dr. Xenia Stolzenburg, Studium der Kunstgeschichte, Christliche Archäologie und Byzantinistik und Klassische Archäologie an der Philipps-Universität Marburg
1998-2003 Kunsthistorisches Institut Florenz - Max-Planck-Institut. U.a. Doktorandenstipendium und Projektleitung von "EDV-gestützte Dokumentation von Familienkapellen in toskanischen Kirchen"
2003-2011 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunstgeschichtlichen Institut der Philipps-Universität Marburg und am Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte - Bildarchiv Foto Marburg
2009 Promotion zum Thema „Sepulchrum Domini. Mittelalterliche Nachbauten des Heiligen Grabes in Italien“
Seit 2011 Postdoc am DFG-Projekt "Mittelalterliche Retabel in Hessen" (beteiligt: Deutsches Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg und die kunstgeschichtlichen Institute in Marburg, Frankfurt am Main und Osnabrück).