Conference paper
Kemper, Dorothee:
Das interdisziplinäre Forschungsprojekt zu den Hildesheimer Schreinen unter Mitwirkung von Jürgen Bandsom, Leverkusen (Holzkern); Regula Schorta, Riggisberg (Textilreliquien und textile Reliquienhüllen); Uwe Schuchardt, Hildesheim (Goldschmiedetechniken); Daniel Fellenger und Robert Lehmann, Hannover (Metallanalysen); Clemens M. M. Bayer, Bonn/Lüttich (Inschriften)
Dieser Sektionsteil präsentiert vorrangig Ergebnisse aus den Objektuntersuchungen eines seit 2011 laufenden interdisziplinären Forschungsprojekts zu den beiden Hildesheimer Reliquienschreinen.
Im Gefolge der Heiligsprechung Bischof Godehards 1131 zeichnet sich ein Aufschwung in der Hildesheimer Goldschmiedeproduktion ab, die offensichtlich nicht nur die beiden Reliquienschreine für Godehard und Epiphanius (u.a.) betraf, sondern auch weitere Objekte der materiell und handwerklich aufwendigsten Kategorie. Die in der älteren Forschung als zugehörig erkannten Objekte dieser Gruppe wurden 2013 bis 2015 im Rahmen eines Forschungsprojekts (Dommuseum Hildesheim, Institut für anorganische Chemie Hannover) untersucht, das auf exemplarische Weise die interdisziplinären Methoden bündeln soll (Corpus Scriniorum, Dorothee Kemper). Dabei stehen verschiedene Fragen im Vordergrund: wie lassen sich die erhaltenen Originalbestände herauskristallisieren und die verlorenen Zustände rekonstruieren, woher stammen die verwendeten Materialien (Metalle, Holz, Textilien, Gläser), welche technischen, funktionalen und historisch-hagiographischen Komponenten prägten den Herstellungsprozess?
Beteiligt sind Restauratoren aus den Bereichen Metall, Holz, Textilien, Glas, Korrosion, Papier, außerdem Wissenschaftler aus den geisteswissenschaftlichen Bereichen (Kunstgeschichte, Geschichte, Epigraphik) und medizinisch-naturwissenschaftlichen Gebieten (Analytiker für organische und anorganische Chemie, Paläo-Anthropologen) sowie Spezialisten für die darstellenden Techniken mit jeweils hohen Ansprüchen an ihre fachlichen Möglichkeiten (Fotografen, Diplomingenieure, Röntgenspezialisten, Kriminologen, Grafiker).
Das fächer- und länderübergreifende Projekt erfordert von den Beteiligten ein hohes Maß sowohl an Spezialisierung, als auch an Kommunikationsbereitschaft gegenüber den Nachbardisziplinen. Die Sektion präsentiert ausgewählte Ergebnisse (Textilien: Regula Schorta, Holz: Jürgen Bandsom, Metall: Uwe Schuchardt, Metallanalysen: Daniel Fellenger, Inschriften: Clemens M. M. Bayer), führt zahlreiche Beteiligte erstmals zusammen, fördert einen Dialog über die Spezialuntersuchungen im übergeordneten Kontext, und soll damit einen Austausch und Kontakte zwischen den verschiedenen Disziplinen auch im Hinblick auf andere Projekte etc. im Sinne eines „Forums“ ermöglichen.
Projektvorstellung und kunsthistorische Synthese:
Dr. Dorothee Kemper, Kunsthistorikerin, Kunsthistorisches Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Forschungsschwerpunkte u.a.: Goldschmiedekunst des 12./13. Jahrhunderts, Großreliquiare mit materialtechnisch-interdisziplinärem Methodenschwerpunkt, Bauornamentik des 11.-15. Jahrhunderts. Im Auftrag des ‘Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft’ (Berlin) Mitherausgeberin der Reihe Corpus scriniorum. Die großen Reliquienschreine Europas.
Zum hölzernen Gehäuse:
Das hölzerne Gehäuse des Godehardschreins bewahrt und schützt als Behältnis die innenliegenden Reliquien, dient zudem als Träger einer reichen künstlerischen Ausgestaltung, ist aber selbst kaum sichtbar. Während notwendiger Konservierungsmaßnahmen wurde der Holzkern freigelegt und umfassend untersucht. Hierbei ließen sich zahlreiche Erkenntnisse zur Bauweise, Datierung und zu Änderungen in der Konstruktion des Schreins gewinnen.
Jürgen Bandsom, Dipl.-Restaurator für Kunst- und Kulturgut aus Holz, Leverkusen;
tätig im Restaurierungszentrum der Landeshauptstadt Düsseldorf und freiberuflich u.a.
spezialisiert auf die Untersuchung, Konservierung und Restaurierung von Holz in der sakralen Kunst.
Mitglied der Arbeitskommission zur Erforschung und Erhaltung der mittelalterlichen Reliquienschreine im Erzbistum Köln.
Zur Untersuchung der Textilien:
Im Godehardschrein fanden sich nicht nur Textilreliquien - die Grabgewänder des Bischofs - sondern auch eine große Zahl von mittelalterlichen textilen Reliquienhüllen. Im Zusammenhang mit dem Schrein selbst richtet sich das besondere Augenmerk auf zwei in Kastenform genähte Hüllen, eine aus Leinen und eine aus gemustertem Seidengewebe.
Dr. Regula Schorta, Kunsthistorikerin und Textilrestauratorin, Direktorin der Abegg-Stiftung in Riggisberg (Schweiz). Forschungsschwerpunkte u.a.: mittelalterliche Seidengewebe, historische Textiltechnologie, Textilien im Reliquienkult.
Zu den Inschriften:
Ergebnisse der Untersuchung des epigraphischen Befundes der beiden Schreine: Ihrem Gehalt nach bieten die Inschriften – in Verbindung mit der jeweiligen Ikonographie – die Grundlage für eine weitgehend neue Auffassung von der Semantik der Objekte, ihrer Paläographie nach leisten sie einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen stilistischen Einordnung der beiden Goldschmiedewerke.
Clemens M.M. Bayer, Bonn und Lüttich; freiberuflich als Historiker, Kunsthistoriker und Mediolatinist tätig; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am ‘Département des Sciences historiques’ der Universität Lüttich. Hauptarbeitsbereiche: Hagiographie und Historiographie (7. – 12. Jh.); Kirchengeschichte, Theologie und Liturgie (7. – 12. Jh.); Goldschmiedekunst (9. – 13. Jh.); Epigraphik (8. – 13. Jh.). Ein besonderes Forschungsinteresse gilt den Beziehungen zwischen Texten und Bildern sowie denjenigen zwischen Texten und Realien (einschließlich Bauten). Im Auftrag des ‘Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft’ (Berlin) Mitherausgeber der Reihe Corpus scriniorum. Die großen Reliquienschreine Europas.