Conference paper
Raue, Jan:
Vom Bild zum Fragment und zurück
Zur Rezeptionsgeschichte beschädigter Wandmalereien und ihrer Auswirkung auf Konservierungs- und Restaurierungsentscheidungen
Der Beitrag beschäftigt sich mit der Rezeption von fragmentarischen Wandmalereien an Denkmalen in Brandenburg und Berlin, u.a. der Wandmalerei im Fürstensaal im Zisterzienserkloster Chorin und der Totentanz-Wandmalerei in der Marienkirche Berlin. Verschiedene Anbringungsorte, Erhaltungszustände und Wirksamkeiten in der Öffentlichkeit führten zu historisch wechselnden Umgangsweisen mit Freilegung, Ergänzung und Präsentation seit der Mitte des 19. Jh. Nicht nur die konkret fassbaren Ikonographien, auch das „abstrakt“ Fragmentarische unterlag Wandlungen in der Rezeption, – es konnte wahlweise als Makel, als Ansporn zur Rekonstruktion oder sogar als Garant des Authentischen verstanden werden.
Dem Zeichnen kam von Beginn eine zentrale Rolle bei der Entwicklung denkmalpflegerischer Haltung zu. Entscheidend ist dabei nicht das Medium, entscheidend ist, mit welcher inneren Verfasstheit der „Stift“ geführt wird. Beim Kartieren mit seinen bildgebenden Verfahren als zunehmend wichtigem Teil der restauratorischen Dokumentation verschafft uns das Digitale heute auch in der Wandmalerei vielfältige neue Möglichkeiten der Präzision, der Sichtbarmachung und Auswertung von dem menschlichen Auge verborgenen Phänomenen.
Der inzwischen weithin etablierte Verzicht auf irreversible interpretierende Eingriffe eröffnet in Verbindung mit digitalen Werkzeugen neuartige temporäre und „reversible“ Ansätze der Bildgebung und des Lesbarmachens. Verantwortungsvoll eingesetzt, kann hierin eine Chance liegen, die Wandmalerei auch in fragmentarischem Zustand zu erhalten und gleichzeitig ihre Akzeptanz bei Denkmaleigentümern, Nutzern und Besuchern zu erhöhen. Was wir keinesfalls anstreben, ist eine Entwertung des sperrigen und spröden, im Wortsinn unreproduzierbaren Originals.
Imaging of the fragmentary.
The reflection of wall painting in analogue and digital media as part of the conservation and restoration approach
This paper deals with the reception of fragmentary wall paintings at monuments in Brandenburg and Berlin, including the wall painting in the princely hall in the Cistercian monastery Chorin and the wall painting of the Dance of Death in the Marienkirche in Berlin. Various places of installation, states of preservation and effectiveness in public have led to historically changing ways of dealing with exposure, addition and presentation since the middle of the 19th century. Not only the concretely tangible iconographies, but also the "abstract" fragments were subject to changes in reception - they could be understood either as a flaw, as an incentive for reconstruction or even as a guarantee of authenticity.
From the very beginning, drawing played a central role in the development of a monument preservation attitude. It is not the medium that is decisive here, but the inner state with which the "pen" is guided. Through mapping, with its imaging processes as an increasingly important part of restoration documentation, digital technology is now also providing us with a wide range of new possibilities for precision, visualization and evaluation of phenomena hidden from the human eye in wall painting.
The now widely established renunciation of irreversible interpretive interventions, in conjunction with digital tools, opens up new temporary and "reversible" approaches to imaging and making things readable. Used responsibly, this can be a chance to preserve the mural painting even in a fragmentary state and at the same time increase its acceptance by monument owners, users and visitors. What we absolutely do not want is a devaluation of the bulky and brittle, in the literal sense irreproducible original.
Prof. Dr. Dipl.-Rest Jan Raue ist Professor für Konservierung und Restaurierung von Wandmalerei an die FH Potsdam. Nach seinem Studium der Restaurierung an der HfBK Dresden studierte er Kunstwissenschaft am Courtauld Institute of Arts in London. Zu seinen Referenzen als selbständiger Restaurator gehören u. a. die Klosterkirche Chorin, das Paulikloster in Brandenburg an der Havel sowie die Marienkirche in Berlin-Mitte mit dem Totentanz und die Marienkirche in Frankfurt (Oder).